RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-2005-923337
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Philosophie und Medizin
Haben sie sich noch etwas zu sagen?Philosophy and medicineDo they still correspond?Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
15. Dezember 2005 (online)

Die wirklichen Philosophen und die titulären.
Georg Christoph Lichtenberg [16]
Philosophie befasst sich mit Grund-, Lebens- und Grenzfragen. Da solche Fragen auch in der Medizin existieren und von Ärzten gestellt werden, verwundert es nicht, dass Medizin und Philosophie eine lange gemeinsame Tradition haben, die allerdings nicht stets ungetrübt war. Galen (129 - 199), römischer Arzt griechischer Herkunft, behauptete, der beste Arzt sei gleichzeitig Philosoph [26]. Das sehen heute die meisten Ärzte anders. Avicenna, Averroes und Maimonides waren als Philosophen des Mittelalters zugleich der Vernunft verpflichtete Ärzte. Der „weise Hebräer mit dem zwiefachen Können”, schrieb ein Zeitgenosse, der moslemische Dichter Alsaid Ibn Sina Almuk, über Maimonides (1135 - 1204), den einfühlsamen Arzt und jüdischen Denker, „erleichtert Geist und Körper des Kranken, zeigt, wie Ignoranz die Seele schädigt, während Weisheit sie ganz macht” [29].
René Descartes (1596 - 1650) sah den Menschen aus zwei Substanzen, dem denkenden Ich (res cogitans) und der Körpermaschine (res extensa), zusammengesetzt. Damit gab er prinzipiell den Körper zur wissenschaftlichen Erforschung und technischen Intervention frei. Ernst Platner (1744 - 1818), Professor der Medizin in Leipzig, lehrte zugleich als Philosoph und schrieb eine „Anthropologie für Ärzte und Weltweise”. Platner vertrat die Ansicht, dass nur die Kenntnis des Körpers den Geist erschließe, denn Nerven und Körpersäfte beeinflussen seelische Vorgänge. Noch Friedrich Schillers medizinische Dissertation mit dem Titel „Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen” spiegelt das philosophische Interesse des jungen Arztes [25].
Im 19. Jahrhundert wurden naturphilosophische Systeme zunehmend als Zwang empfunden und über Bord geworfen. Nicht Spekulationen, sondern Naturwissenschaft und Experiment sollten die moderne Medizin bestimmen. Die Zeit romantischer Theorien, die Sünde zur Ursache von Krankheiten erklärten, war vorbei. An die Stelle unbewiesener Thesen trat die Beobachtung des Kranken unter Einbeziehung physikalischer und chemischer Methoden. Trotz dieser Abwendung gab es im 19. Jahrhundert einen Du Bois-Reymond, der, obwohl er die Grundlagen der modernen Elektrophysiologie schuf, nicht nur Spezialist blieb, sondern als Naturwissenschaftler und Philosoph die Verbindung der Fakultäten suchte. Diese Personalunion von Medizin und Philosophie setzte sich im 20. Jahrhundert fort. Ein Beispiel gab der Heidelberger Internist Herbert Plügge [7]. Plügge griff auf Heidegger, Husserl und Sartre zurück, um Befinden und Lebenswelt des organisch Kranken zu verstehen. Zugleich regten seine Untersuchungen Philosophen an, stärker als bisher den Einfluss des kranken Körpers auf Denken und Fühlen zu berücksichtigen.
Literatur
- 1 Barth K. Die Lehre von der Schöpfung, 2. Teil. Zollikon, Zürich 1948: 456ff
MissingFormLabel
- 2 Borowski L E, Jachmann R B, Wasianski E ACh. Wer war Kant?. Neske, Pfullingen 1974: 280
MissingFormLabel
- 3
Chorover S L.
Who needs neuroethics?.
Lancet.
2005;
365
2081-2082
MissingFormLabel
- 4
Daaleman T P, Van de Greek L.
Placing religion and spirituality in end-of-life care.
JAMA.
2000;
284
2514-2517
MissingFormLabel
- 5 Dilthey W. Das Wesen der Philosophie. Reclam, Stuttgart 1984 58: 73
MissingFormLabel
- 6 Engelhardt K. Viktor von Weizsäcker: 116 - 119; Psychoanalyse und Psychosomatik 119 - 126. Münster, Agenda In: Kranke Medizin. Das Abhandenkommen des Patienten 1999
MissingFormLabel
- 7
Engelhardt K.
Herbert Plügge - vergessenes ärztliches Vorbild.
Dtsch Med Wochenschr.
2002;
127
284-285
MissingFormLabel
- 8
Engelhardt K.
Richard Siebeck - ein Exponent der „Heidelberger Schule”.
Dtsch Med Wochenschr.
2005;
130
1227-1229
MissingFormLabel
- 9 Epikur. Von der Überwindung der Furcht. Artemis, Zürich 1968: 102f
MissingFormLabel
- 10 Epikur. Philosophie der Freude. Kröner, Stuttgart 1973: 46
MissingFormLabel
- 11 Jaspers K. Allgemeine Psychopathologie,. 9. Aufl Springer 1973: 206
MissingFormLabel
- 12 Kant I. Versuch über die Krankheiten des Kopfes. Gerstenberg, Hildesheim In: Werke, Bd 2 hg. von A. Buchenau 1973: 306
MissingFormLabel
- 13 Kant I. Der Streit der philosophischen Fakultät mit der medizinischen. a. a.O In: Werke, Bd 7, hg von B. Kellermann. Der Streit der Fakultäten in drei Abschnitten 914
MissingFormLabel
- 14
Kimsma G K.
Warum aktive Sterbehilfe eine gute Sache sein kann.
Dtsch Med Wochenschr.
2001;
126
1305
MissingFormLabel
- 15 Kreß H. Sterbehilfe. Geltung und Reichweite des Selbstbestimmungsrechts in ethischer und rechtspolitischer
Sicht. Schriftenreihe des Zentrums für Medizinische Ethik Bochum. Bochum 2004
MissingFormLabel
- 16 Lichtenberg G C. Aphorismen, Essays, Briefe. Dieterich, Leipzig 1965: 93
MissingFormLabel
- 17 de Montaígne M. Essays. Manesse, Zürich 1953: 121
MissingFormLabel
- 18 Nietzsche F. Menschliches, Allzumenschliches. Bd 1 Hanser, München In: Werke, hg. von K. Schlechta 1966: 954
MissingFormLabel
- 19 Nietzsche F. Jenseits von Gut und Böse, Werke,. Bd. 2 a. a.O 607
MissingFormLabel
- 20 Nietzsche F. Sämtliche Briefe,. Bd. 8 DTV, München hg. Von G. Colli u. M. Montinari 1986: 459
MissingFormLabel
- 21 Platon. Charmides. Artemis, Zürich 1960: 46f
MissingFormLabel
- 22 Platon. Apologie,. a. a.O 246f
MissingFormLabel
- 23 Platon. Die Gesetze,. a. a.O 160-246f
MissingFormLabel
- 24 Popper K R, Eccles J C. Das Ich und sein Gehirn. Piper, München 1977: 550-560
MissingFormLabel
- 25 Safranski R. Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus. Hanser, München 2004: 79
MissingFormLabel
- 26
Schiefsky M.
The appeal of ancient medicine for today’s doctors.
Lancet.
2005;
366
113-114
MissingFormLabel
- 27 Schweitzer A. Kultur und Ethik. Beck, München 1972: 330f
MissingFormLabel
- 28 Shakespeare W. Hamlet. Rütten und Loening, Berlin Werke, übers. v. R. Schaller 1964: 68
MissingFormLabel
- 29
Simon S R.
Moses Maimonides. Medieval Physician and scholar.
Arch Intern Med.
1999;
159
1841-1845
MissingFormLabel
- 30 Weizsäcker V. von Pathosophie. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1956: 231
MissingFormLabel